Ich möchte (wieder) mehr Sex, sagt er. Er ist so plump, sagt sie. Und dass sie diesen Sex nicht möge. Diese Art Sex sei immer das Gleiche, ohne Raffinesse, ohne viel Gefühl dabei. Eigentlich mache sie es nur ihm zuliebe. Nicht wenige Paare enden mit ihrer Partnerschaft im Death Valley. Was braucht es, um wieder knusprig füreinander zu werden? Die Liebe in innigen Sex münden zu lassen?
New Relationship Energy, jener leckere Cocktail aus frischer Verliebtheit und Geilheit, ist in langjährigen Partnerschaften längst ausgetrunken. Wenn wir bei dem Beispiel oben bleiben, ist es zunächst ein gutes Zeichen, dass er überhaupt an die gemeinsame Sexualität erinnert. Jedoch, von leidenschaftlichen Gefühlen spricht hier keiner. Auch er nicht, den es selbst nicht überzeugt, wo sie als Paar nach vielen Jahren beim Sex gelandet sind. Plump sind sie in gewisser Weise beide, denn sie entzieht sich seinem Drängen und antwortet mit Desinteresse, anstatt Verantwortung für ihre Lust zu übernehmen und die Verführerin in sich spielen zu lassen. Stress, Druck oder Kälte kann von beiden Seiten ausgehen. Keiner von beiden trägt wesentlich zur Verbesserung der Situation bei.
Eine einfache Lösung, einen Königsweg, um wieder knusprig füreinander zu werden, gibt es angesichts verwachsener Liebesbiographien und gegenseitiger Prägung dezidiert nicht. Die Gründe sind vielfältig, warum die Bindung nachgelassen hat und Aufmerksamkeit und Aufeinanderbezogenheit fehlen. Gründe und Ausreden, warum etwas nicht geht und funktioniert, können auch Zeichen eigener Unsicherheit oder Bequemlichkeit sein, aber auch Vermeidungsstrategien tieferer Prozesse. All das offenbart sich auch in unseren Workshops für Paare immer wieder. Jedes Paar ist ein Universum für sich. Jedoch gibt es Verhaltensmuster, wir nennen sie gerne Erotic-Pattern (Erotische Erregungsmuster bzw. Lustmuster), deren Integration in die Beziehung wohltuend, belebend und ziemlich anturnend sein können.
#1 Intimität in Worten und Körperkontakt
Generell gilt, dass Paare, die miteinander Gefühle teilen, d.h. nicht nur über den Job, die Familie und Einkäufe reden und die immer wieder den gegenseitigen Körperkontakt suchen, mehr Intimität leben als andere. Intimität durch Kommunikation lässt Sie tiefer in ihr gemeinsames Universum tauchen. Tiefer in dem Sinne, dass Sie sich nicht scheuen, sich als Paar miteinander und aneinander zu entwickeln; dass Sie sich gegenseitig Fantasien und tiefere Bedürfnisse zugestehen, den Anderen überhaupt wahrnehmen. Zu diesem Punkt (sich gesehen zu fühlen) muss man erstmal kommen (…). Fehlt diese Art von intimem Kontakt, wird eine Partnerschaft letztendlich rückgängig gemacht und wieder zur Beziehung zwischen zwei Menschen, die freundschaftlich miteinander umgehen und sich, im positiven Fall, nur das Beste wünschen.
Intimität durch Körperkontakt braucht auch im Alltag eine Portion Intensität. Es gilt ein dickes Brett zu bohren. Nicht der flüchtige Kuss, die flüchtige Umarmung zum Abschied sorgen für innere Vibrationen, sondern das tiefere Einlassen in den Moment. Überhaupt stellen wir immer wieder fest, dass der Zauber des innigen, ausgiebigen Küssens in langjährigen Partnerschaften viel zu sehr vernachlässigt wird. In unseren Workshops arbeiten wir gerne mit Impulsfragen zu den Lovepattern. Drei Beispiele, wie diese hier lauten könnten: Können Sie in ihrer Partnerschaft rauschhafte Lust willkommen heißen oder ist da eine Grenze? Was empfinden Sie als intim? Wie kann diese eine Netflixserie gerade spannender sein als der Mund Ihres Partners?
#2 Verführerische Zuwendung
Ja, Menschen unterscheiden sich – auch in Punkto Libido. Es gibt Paare, die mögen Sex total gerne und haben ihn deshalb 2-3-mal im Monat. Andere Paare leben so gut wie ohne Sex und sind dennoch zufrieden. Und dann gibt es jene, die wünschen sich Sex mehrmals in der Woche. Alles davon ist normal und gut – und jeglichen Statistiken im Feld der Sexualität ist ohnehin zu misstrauen. Blöd ist das nur dann, wenn der eine Partner mehr als der Andere will bzw. der Andere sich ebenfalls nach Sex sehnt, aber nicht nach dem herkömmlichen. Ein weiteres Lovepattern zum Wiederanheizen des Feuers nennen wir die verführerische Zuwendung. Das beginnt mit einer liebevollen SMS zur Mittagszeit und darf ruhig auch mal kinky und ganz spielerisch sein. Tanzen Sie doch mal für Ihre Partnerin oder Ihren Partner, schenken Sie ihr eine Fussmassage, holen Sie ihn vom Bahnhof ab (wenn Sie das sonst nie tun) oder überraschen Sie sich mit einem Mitternachts-Cocktail. Diese gegenseitige Hinwendung ist der erste Schritt und Teil von Verführung. Erinnern wir uns, was Verführung einmal zu Beginn unserer Partnerschaft war: Absolute Aufmerksamkeit für unser Gegenüber! Wertschätzung! Überraschung! Wir waren bereit zur Romantik, sind durch den Regen zu ihr gelaufen, mit frischen Brötchen vom Bäcker und haben Briefe per Hand geschrieben oder nächtelang telefoniert. Wie waren bereit, uns für jeden Scheiß begeistern zu lassen.
Männer können große Verführer sein. Genauso leidenschaftliche und phantasievolle Verführer voller Esprit, wie Frauen es auch sein können. Ein Grund, warum Männer plump in ihrer Erotik (geworden) sind, kann eben auch darin liegen, dass die Frau als Verführerin ausfällt. Kann sie ihn überhaupt verführen? Wie lebt sie ihre Weiblichkeit? Wo verehrt sie den Mann in ihm? Abgesehen von, und das benennen wir jetzt ganz bewusst provokant, seinen Funktionen als Vater, Haupternährer und Handwerker? Und an den Mann adressiert: Wo und mit was macht er sich eigentlich interessant für seine Frau? Was ist seine Mission, bei der sie sein Brennen verspürt? Wo ist er vollkommen präsent und für sie da? Beide Seiten müssen für den anderen eine wichtige Rolle spielen, sonst funktioniert es nicht. Beide müssen wollen, ihre Rollen, als seine Frau und ihr Mann, seine Geliebte und ihr Liebhaber, annehmen, definieren und ausfüllen. Beide müssen den jeweils anderen in die erotische Liebe hinein (ver)führen wollen. Wann haben Sie Ihren Partner das letzte Mal mit einer verführerischen Zuwendung überrascht? Wo erreichen Sie ihren Schatz auf einer tieferen Ebene?
#3 Erotische Aufladung
„Bedeutungszuschreibung“, das Aufladen mit sinnlicher Bedeutung, entfaltet große Magie in der Sexualität. Wir nennen dieses Lovepattern die erotische Aufladung. Beispiele, wie man einander einfängt und mit Begehren impft gibt es zuhauf: Wenn sie ihm beim Sex „Mein Mann“ ins Ohr flüstert, ihn überall anfasst und zupackend ist, ihr Wollen zum Ausdruck bringt, ihre Lust auf seinen Penis zeigen und zelebrieren kann, denn es ist ihr Mann und sein Schwanz gehört auch ihr. Wenn er sie beim Sex „Meine Frau“ nennt und er ihr sagt, wie schön und wie geil sie ist und dass sie göttlich duftet und schmeckt, er sie phantasievoll umwerben und verwöhnen kann. Zwei Menschen können lernen, ihre Körper sprechen zu lassen und verbal wie nonverbal zu flirten und sich körperlich interessant füreinander zu machen. Der Körper des Partners kann als Ganzes verehrt und berührt werden, aber auch einzelne Körperteile lassen sich ganz hervorragend erotisch aufladen, über Worte und die Sinne. Auch die Verbindung von Erotik und Essen lässt sich wunderbar in das erotische Spiel integrieren, zum Beispiel bei einem abendlichen Dinner mit Muscheln oder Spargel, Eclairs und Kirsch-Sahnetörtchen. Und wenn beide Seiten mutig und entschieden im Sex sind, er sie begeistert leckt, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt, sie sich beide die Achseln und die Füße küssen und sie beide ihre cremigen Elixiere mit ihren Mündern auffangen, dann ist das alles andere als gewöhnlich – dann hat die Magie eine Chance. Impulsfragen: Wie lange können Sie Augenkontakt miteinander halten? Haben Sie sich schon einmal den Wimpern Ihres Partners liebevoll gewidmet, sie gewürdigt und ihnen gehuldigt?
#4 Mut für Abenteuer und eine Prise Exzentrik
Überhaupt, es lässt sich in diesen Zeiten viel Neues entdecken, von Slow Sex über Tantra bis BDSM. Seid mutig! Lächeln Sie nicht nur und umarmen Sie sich nicht nur kuschelnd! Letztendlich braucht es den bewussten Schritt, es hartnäckig anders als bisher zu machen und etwas Neues zu wagen; die Entscheidung, sich wieder einzulassen und dabei alle Sinne zur Entfaltung zu bringen, von ganz zärtlich bis schmerzlich intensiv. Nur nett sein, das reicht eben nicht. Hollywood überwältigt uns auch nicht mit einem Gänseblümchen, sondern mit Pauken, Rosen und Trompeten. Wir brauchen das Unerwartete, um uns lebendig zu fühlen. Sicherheit um jeden Preis macht träge. Veränderungen dagegen regen uns an. Eine neue Sprache, ein neuer Umgang miteinander bereiten den Boden. Ein bisschen Exzentrik bzw. Deutlichkeit weitet den Blickwinkel und entfacht jene Dynamik, die uns mehr als ein Lächeln entlockt. Damit eine oberflächliche Gemütlichkeit nicht das neue Normal wird, ist eine gewisse Radikalität gefragt. Denn nett ist die kleine Schwester von Scheiße.
Letztlich bedeutet Verführungskraft auch Überzeugungskraft. Und es geht dabei nicht darum, nett, sondern charismatisch und ehrlich im eigenen Begehren zu sein, wieder begeisterungsfähig und spielwilliger, um sich für die gemeinsame Zukunft neu zu entflammen. Denn, wie Anaïs Nin schon wusste: „Die Liebe stirbt nie eines natürlichen Todes. Sie stirbt, weil wir es nicht verstehen, ihre Quelle zu speisen.“ Impulsfragen: Wann wagen Sie in nächster Zeit ein gemeinsames Abenteuer und betreten damit neues Terrain in Ihrer Liebesbiografie? Worauf haben Sie da beide Lust?
Anne Brandt und Till Ferneburg