Was ist eigentlich guter Sex?

Über Wedges mit Sour Cream, glasierte Pussys, ein Nest im Wipfel des Lustwaldes und die Frage, was eigentlich guten, nein, wirklich geilen Sex ausmacht.

Es gibt da dieses Zitat, das wohl von Madonna stammt: „Ich bevorzuge junge Männer. Sie wissen zwar nicht, was sie tun, doch tun sie es die ganze Nacht.“ Die Potenz eines jungen Liebhabers mag ihren Reiz haben – seine Unwissenheit definitiv nicht. Denn ein Liebesspiel lässt sich zelebrieren und kultivieren. Wer den eigenen Körper und die persönlichen Lustquellen kennt, wer neben gewissen Techniken auch ein Repertoire an Gefühlen und Berührungen in sich trägt, die oder der empfindet mehr. Auch für sein Gegenüber. Das Schöne ist, dass sich das intime Spiel von Körpern, das mehr sein möchte als ungehobelter Sex, zu allen Zeiten im Leben, in denen man körperlich liebt, lernen und verfeinern lässt.

Kochen lernt man in der Küche 

Ja, es muss auch mal was anbrennen! Es hilft, viel Sex zu haben. Genau wie der Musiker auf seinem Instrument regelmäßig üben muss, macht es den entscheidenden Unterschied, einen Körper bespielen zu können. Auch den Eigenen. Denn wie will ich meinem Gegenüber Lust verschaffen, wenn ich mir nicht selbst Lust verschaffen kann? Manche Menschen sind da hilf- bis einfallslos, stehen am Herd und trauen sich nicht, mit Gewürzen zu experimentieren und sich auch die Zeit zum Abschmecken zu nehmen. Immer den gleichen stereotypischen Sex zu haben, das ist so wie immer Wedges mit Sour Cream essen zu müssen, jeden Tag aufs Neue.

Fast Sex ist Fast Food – weder kinky noch hot, weder aromatisch, fruchtig noch yummy oder spicy. Kann geil sein, klar, brauchen wir manchmal auch. Doch es gibt weitaus mehr, was es zu probieren gilt. Also, ab in die Küche und sich durch die eigenen Sinne zum Gipfel des Genusses führen lassen, auch auf die Gefahr hin, die Liebesspeise zu versalzen. Wir wachsen an unseren Erfahrungen, auch im Sex.

Weg mit den stupiden Bildern im Kopf

Leider ist es so, dass es da dieses alte, überholte Muster gibt: Er begehrt. Sie wird begehrt. Als guter Liebhaber gilt, wer weiß, wie Frauenkörper funktionieren. Also macht er und sie macht mit. Der aktive Mann trägt letztendlich die Verantwortung. Ein weiteres schiefes Bild: Es gibt eine Abfolge aus Vorspiel und dann Penetration, bei der er es ihr besorgen muss. Wenn er mich gut stößt, sagt eine Freundin von uns, dann sei das schon die halbe Miete. Stimmt, aber „Geil“ ist eben nur die (nicht unerhebliche) Hälfte vom Ganzen. Denn zusätzlich zu (a) seiner Kraft und seinen Fertigkeiten („Er hat’s drauf!“) sind (b) Empfinden und Einlassen-Können relevant. Das gilt umgekehrt auch 1:1 für sie. Tiefe misst man nicht in Zentimetern, Leidenschaft nicht in Körbchengröße.

Viele steigen da bereits aus, haben ein eher äußerliches Verhältnis: Sex = Erregungslust + Bedürfnisbefriedigung. Der Typ müsse nur attraktiv genug sein. Und durchhalten können. Lasst uns die Stereotype in die Tonne hauen und all die konventionellen Bilder von Sex und Verführung. Aktiv und passiv, devot und dominant, das ist einzeln betrachtet so stupide wie Brot und Butter, Pfeffer und Salz. Wer sagt schon, dass er nur auf Pfeffer steht? Erst im Zusammenspiel ergibt alles einen Sinn.  

Es gibt mehr als Biologie und Chemie

Orgasmen sind herrlich. Aber es geht nicht um Orgasmen. Es geht ums Weben und Verbinden, um das Erwecken von Glückseeligkeit, Staunen in tellergroßen Augen, um Herzöffnung und ums Seelestreicheln, also um mehr als physische Verbindung – auch wenn eine pralle Eichel in der G-Zone am Vagina-Dach ganz köstlich ist. Oder am Muttermund. Oder am Gaumen. Oder oder oder: Ihre glasierte Pussy wie das Himmelstor schmeckt. Denn hinter dem geilen Gefühl liegt a brand new world: aus Gefühlen, Eindrücken, Empfindungen, die nochmal geiler sind, zehnmal geiler. Vielleicht mit mehr als einem oder zwei Höhepunkten.

Doch diese Welt bleibt mir verborgen, wenn ich Sex mechanisch betreibe, wenn er aus Attraktionscodes besteht à la „Er hat Muskeln und eine lange Latte“, „Sie hat lange Haare und 75D“. Oder wenn ich in starren Rollen spiele, die von Pornos geprägt sind. Dieses Sex-Performen ist genauso langweilig wie eine Wissenschaft, die alles seziert und relativiert: Dass es die Hormone seien, Pheromone, diese und jene Schwellkörper, etc. pp. Wissen wir ja längst. Gerade weil wir uns auskennen, bspw. wie groß die Klitoris tatsächlich ist, lassen wir Anatomie, Biologie und Chemie hinter uns und uns wieder verzaubern.

Sex braucht Zauber

Apropos Zauber, fürs Betreten dieser neuen Welt braucht es zweierlei: Seine Bereitschaft, eine Liebeskunst jenseits des Samenergusses zu entwickeln und higher states of intimacy zu erreichen. Ihre Bereitschaft, die domestizierte Sexualität der weiblichen Generationenfolge hinter sich zu lassen und zur verschlingenden Frau zu werden, die stolz auf ihre (erwachte) Lust ist und diese erforscht. So können beide (neu)gierig aufeinander sein, durch hohe sexuelle Energien in den Lebensfluss eintauchen und den ganzen Zauber, alle Mysterien der aufgeladenen Verbindung, erfahren und genießen. Dann bauen sich beide ein Nest im Wipfel des Lustwaldes, machen aus dem alten Ziel ihrer und seiner Befriedigung (die sie längst erreichen), etwas Größeres, Gemeinsames. So dass 1+1 sich nach mehr als 2 anfühlt. Vertrautheit kann auch mit Überraschung einhergehen, wenn beide feststellen, wie stark sie aufeinander reagieren können, immer wieder; dass die Anziehung genauso wächst wie neue Formen der Lust und Leidenschaft.

Wir haben erleben dürfen, dass die Intensivierung und das Einlassen-Aufeinander dazu geführt haben, dass wir uns fallen lassen konnten. Mit feuchten Augen haben wir erkannt: Deine Lust ist meine Lust. Alles wurde leicht und gelöst, dehnte sich zu einem Sexzauber über drei, vier, fünf Stunden hinweg. Mit langen Vereinigungen, Mündern und Zungen und Fingern überall, verwobenen Blicken aus schmelzenden Augen, wenn nicht mehr wichtig war, wer jetzt was macht. Weil wir den eigenen Körper zu einem Gastgeber für den Anderen gemacht haben. Nicht ihm oder ihr zuliebe, sondern uns zuliebe. Weil Grenzen nicht mehr da waren – nur noch nährendes Manna. Natürlich, guter Sex ist das, was gefällt. Und gut tut! Das ist höchst individuell. Aber wie himmlisch ist es auch, mehr als leckere Wedges mit Sour Cream kennenzulernen, sich ab und an ein mehrgängiges Menü zu kreieren und zu gönnen, das unsere Körper zur Kathedrale werden lässt.

Anne Brandt und Till Ferneburg